Mareike Schüßler: Ich arbeite beim Berliner Büchertisch – einem sozialen Antiquariat

Die folgenden sechs Fragen unserer Interview-Reihe werden regelmäßig von den unterschiedlichsten Köpfen der Buchbranche beantwortet und die Interviews werden hier im Blog veröffentlicht. Dadurch entstehen Beiträge, die zum einen Aufmerksamkeit auf jene lenken, die “was mit Büchern machen”, und die zum anderen die Veränderungen und Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen der Branche sichtbar werden lassen. Wenn Sie ebenfalls teilnehmen möchten, senden Sie Ihre Antworten und ein Bild von Ihnen bitte an Leander Wattig. Als Inspirationsquelle könnten Ihnen die bisherigen Interviews dienen. (Jedoch behalte ich mir vor, nicht alle Zusendungen zu veröffentlichen.)

Mareike SchüßlerWer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?

Ich bin Mareike und wurde beim Berliner Büchertisch – einem sozialen Antiquariat, welches mittlerweile als Genossenschaft organisiert ist, zur Buchhändlerin ausgebildet. Im Moment leite ich das Team Leseförderung, koordiniere unsere Buchverschenkorte und arbeite im Onlinehandel unseres Projekts.

Der Berliner Büchertisch nimmt Buchspenden entgegen und findet für diese ein neues Zuhause. Wir verteilen die Bücher kostenlos an verschiedenen Buchverschenkorten und geben sie an über 100 Schulbibliotheken und andere Einrichtungen weiter. Um das Buchprojekt zu finanzieren, wird ein Teil der Buchspenden online und in unseren beiden Läden zu sozial verträglichen Preisen verkauft. Ein besonderes Engagement legen wir auf verschiedene Leseförderungsprojekte, welche innerhalb Berlins, aber auch deutschlandweit, von Bildungseinrichtungen genutzt werden. Mir ist es besonders wichtig, dass der Büchertisch einen generationsübergreifenden, inklusiven und vorurteilslosen Arbeitsplatz mit Raum für neue Projekte bietet.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Einen typischen Arbeitstag kann ich schwer beschreiben, da eigentlich jeder Tag beim Büchertisch eine neue Überraschung, Kooperationspartner oder Aktionen bringt. Gemeinsam mit zwei KollegInnen leite ich den Bereich Onlinehandel, jedoch liegt mein persönlicher Schwerpunkt auf der Arbeit und der Betreuung der Leseförderungsprojekte.

Für eines meiner Lieblingsprojekte in unserer Leseförderung, den „Berliner Lesetroll“, schreiben wir Verlage an und bitten sie um Unterstützung des Projekts durch Buchspenden. Diese Bücher packen wir dann zusammen mit einer Kuscheldecke und einem Tagebuch in kleine Trolleys. Ich stehe dabei in engem Kontakt zu den LehrerInnen der am Projekt teilnehmenden Schulen, damit die Kinder auch den Lesestoff bekommen, der ihren Interessen entspricht. Denn jeder Koffer enthält eine bunte Mischung aus Vorlesebüchern, Spielen, Hörbüchern und Büchern zum Selbstschmökern, deren Auswahl von den LehrerInnen mitgestaltet wird. Zu Beginn des Schuljahres gibt es dann große Übergabefeste, bei denen wir die Lesekoffer feierlich an die teilnehmenden Klassen übergeben. Die Trolleys wandern dann ein Jahr lang von Kind zu Kind und bleiben für jeweils drei Wochen als mobile Bibliothek in den Familien. Unser Ziel ist es, die Leselust innerhalb der Familie zu steigern. Ende des Jahres werden die Trolleys an uns zurückgegeben und dann kann die nächste Runde mit frischem Lesestoff starten.

Ein weiteres spannendes Angebot für die Kinder im Kiez bieten wir mit „Ein Kind -­ ein Buch“. So dürfen sich Kinder bei jedem Besuch in einem unserer Läden ein Kinderbuch kostenlos mitnehmen.

Außerdem bearbeite ich gemeinsam mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen jeden Tag neue Spendenanfragen aus unserem Projekt „Ein Herz für Schulbibliotheken“. Dabei unterstützen wir Schulbibliotheken mit Buchspenden und arbeiten eng mit der AG Schulbibliotheken zusammen. Für jede interessierte Einrichtung packen wir nach Wunsch 1­2 Spendenkisten mit Kinder­ und Jugendbüchern, welche dann in den Bestand der Bibliotheken übergehen.

Daneben erhalten wir Anfragen von Vereinen, Kitas und anderen Einrichtungen, die um Buchspenden bitten. Dafür müssen Themenwünsche abgeglichen, die Sammlung der Bücher veranlasst und die Spendenübergabe koordiniert werden. Hierfür werden die von Privathaushalten gespendeten Bücher vorsortiert und passend auf die Einrichtungen verteilt.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Zeit verändert?

Während meiner Ausbildung und auch später, hat sich der Verein stark gewandelt. Durch viele motivierte MitarbeiterInnen und Ehrenamtliche ist das Projekt Büchertisch mehr und mehr gewachsen. Angefangen mit einem kleinen Laden im Hinterhof und kleineren Buchverschenk­-Regalen, kamen immer mehr schöne Projekte, wie Veranstaltungsreihen oder eine eigene Edition hinzu.

Meine Aufgaben in der Leseförderung sind umfangreicher geworden. So haben sich die Bibliotheksspenden verdreifacht, wir werden bekannter und erhalten mittlerweile viel mehr Anfragen von Einrichtungen, die Buchspenden benötigen. Als wir den „Berliner Lesetroll“ 2010 gründeten, mussten wir bei den Verlagen noch Überzeugungsarbeit leisten. Wir freuen uns sehr, dass uns inzwischen viele Kinderbuchverlage oder Institutionen wie die „Stiftung Lesen“ automatisch zu Beginn des Schuljahres entsprechende Bücher zur Verfügung stellen, die wir an Einrichtungen weitergeben können.

Eine große strukturelle Veränderung haben wir mit der Gründung einer Genossenschaft in diesem Sommer vorgenommen. Dadurch haben wir die Möglichkeit, gemeinsam Entscheidungsprozesse zu gestalten.

Was ist ein Problem bei Ihrer Arbeit, für das Sie eine Lösung suchen?

Diese Frage ist für mich im Moment sehr elementar, da sie vor allem die Abteilung der Leseförderung betrifft. Wir planen mit Hilfe einer weiteren Filiale, eines der größten Probleme, den Platzmangel, in Angriff zu nehmen und unsere Leseförderungsprojekte in einem neuen Kiez auszubauen. Deshalb möchten wir einen neuen Laden in Berlin­Neukölln oder Wedding eröffnen. Das Hauptproblem ist der Mangel an finanziellen Ressourcen. Mit unseren beiden sozialen Buchläden machen wir keinen Gewinn und haben deshalb keine finanziellen Mittel für den weiteren Ausbau unserer Projekte. Deshalb haben wir – meines Wissens als erster in Deutschland – eine Crowdfunding­-Kampagne zur Finanzierung eines neuen Buchladens mit Leseförderprojekten gestartet.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren – welche Art von Kontakten wäre zurzeit hilfreich für Sie?

Jeder der Lust am Lesen hat, Wert auf Leseförderung legt, Nachhaltigkeit schätzt und Teil eines schönen Berliner Projekts rund ums Buch werden möchte. Kinderbuchverlage, die uns Bücher für unsere Leseförderung spenden und grundsätzlich alle Verlage, die uns Bücher zur Verfügung stellen wollen. Hilfreich wären auch Sponsoren, die eine Patenschaft für unserer Lesetroll­-Koffer übernehmen und natürlich jeder der uns bei Startnext unterstützt.

Wo finden wir Sie im Internet?

http://www.startnext.de/buecher-fuer-alle
https://www.facebook.com/buechertisch
http://buechertisch.org

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Bildquelle: Mareike Schüßler

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