Georg Simader: Ich bin Literaturagent und Inhaber der Literaturagentur copywrite

Die folgenden fünf Fragen werden regelmäßig von den unterschiedlichsten Köpfen der Buchbranche beantwortet und die Interviews werden hier im Blog veröffentlicht. Dadurch entstehen Beiträge, die zum einen Aufmerksamkeit auf jene lenken, die “was mit Büchern machen”, und die zum anderen die Veränderungen und Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen der Branche sichtbar werden lassen. Wenn Sie ebenfalls teilnehmen möchten, senden Sie Ihre Antworten und ein Bild von Ihnen bitte an Leander Wattig. Als Inspirationsquelle könnten Ihnen die bisherigen Interviews dienen. (Jedoch behalte ich mir vor, nicht alle Zusendungen zu veröffentlichen.)

Georg Simader Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?

Ich bin Literaturagent und Inhaber der Literaturagentur copywrite. Literaturagent, das heißt – und jetzt kommen verschiedene Definitionen: A) ein Dienstleister, der Schriftsteller betreut und an Verlage und andere Medienunternehmen vermittelt (Wikipedia), B) der bezahlte Freund des Autors (Ulrich Janetzki, Geschäftsleiter des Literarischen Colloquiums Berlin), C) „der, der die Drecksarbeit macht, während ich schreibe.“ (Eine der ca. 40 von uns vertretenen Autorinnen und Autoren), und D) der natürliche Feind des Lektors (Felix Rudloff, Verleger Eichborn, nach einer langen Vertragsverhandlung – damals war er noch Lektor bei S. Fischer).

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Den gibt es nicht. Ich habe daher mal einen bestimmten Bürotag, Dienstag, den 29.1.2013, protokolliert.

8:30 Neben dem Bett liegt der Reader. Ich lese, wie fast jeden Morgen. Heute den ersten Teil des noch nicht zu Ende geschriebenen Kriminalromans eines unserer Autoren. Beschließe, demnächst mit der Lektorin zu telefonieren. Die schätzt den Roman, und auch ich finde: Er kann es. Aber ich habe ein, zwei kritische Anmerkungen, möchte jedoch den Autor während des Schreibprozesses nicht verunsichern.

10:00 Mails checken. Konto checken. Newsletter checken. Wenig los bis jetzt. Zwei Mails haben Bedeutung.

– Eine Programmchefin fragt bei mir und Autorin an, ob wir mit der nicht wortgetreuen Übersetzung des Buchtitels ins Niederländische leben können. Ich kann, ein paar Minuten später die Mail der Autorin: Sie kann auch.

– Mail eines neuen Autors bei copywrite: Er hat bisher vier Romane in einem kleineren, eher regional verankerten Verlag geschrieben. Und er möchte wechseln. Will mehr Leser. Die soll er bekommen, denn was er bisher geleistet hat, verdient Respekt. Die ersten 30 Seiten des neuen Romans, die wir vor ein paar Monaten bekamen, haben uns vollständig überzeugt. Jetzt schickt er uns weitere 150 Seiten. Ich bespreche mit ihm per Mail das Vorgehen, stelle einen Zeitplan auf, von Lektüre, Vorlektorat bis zur Kontaktaufnahme mit den Verlagen. Sage ihm, dass wir Anfang April mit Ergebnissen rechnen können. Seine Antwort kommt in Sekundenschnelle: Perfekt, alles gut.

10:30 Post. Für mich auf dem Schreibtisch: ein Addendum zu einem 2001 geschlossenen Verlagsvertrag. Damals gab es noch keine E-Books. Da musste jetzt die Beteiligung für die Autorin fixiert werden. Dann ein Verlagsvertrag, den nicht wir ausarbeiteten, sondern der Verlag. Schließlich die Kopie eines Optionsvertrages für eine Verfilmung. Bearbeite ich später.

10:45 Ich darf nicht verdrängen, dass ich einem unfähigen Lektor eine Mail schreiben muss. Warum es so nicht mehr weitergeht mit Autor AB. Ich verdränge aber und lese ein paar Mails auf Facebook, schreibe einer befreundeten Lektorin eine Privatnachricht, sehe auf Buchmarkt, Börsenblatt und Buchreport.

11:00 Einen Debütanten haben wir vor ein paar Tagen ganz wunderbar bei Rowohlt untergebracht. Ich setze den Vertrag mit Vergnügen auf – obwohl Rowohlt in manchen Bereichen knauseriger ist als die Konkurrenz. Ich schätze den Verlag, denke, dass Lektorin und Autor bestens harmonieren.

11:30 Eine ganz kniffelige Angelegenheit. Eine unserer wichtigsten Autorinnen schreibt in zwei verschiedenen Genres. In dem einen Genre kennen wir uns sehr gut aus, im anderen eher weniger. Mir wurde vor ein paar Monaten klar, dass wir der Autorin keinen Gefallen tun, wenn wir sie in beiden Genres vertreten, an ihr festhalten. Auch wenn es für uns Umsatz- und Renommeeverlust bedeutet: Da musste eine Lösung im Sinne der Autorin her. Die Lösung konnte nur heißen: zwei Agenten. Die zum Glück wohlvertraute Konkurrenzagentin und ich, wir besprechen uns, arbeiten eine einvernehmliche Lösung aus. Die Sache schmerzt trotzdem, irgendwie.

12:00 Ich checke ein paar Amazon-Zahlen. Oh je, bei einer Autorin sieht es nicht gut aus. Da scheint ein Spitzentitel nicht zu funktionieren. Anruf bei der Lektorin. Mailbox.

12:15 Alina Bronsky und Jan Costin Wagner: zwei unserer Bestsellerautoren. Die eine bei Kiepenheuer & Witsch, der andere bei Galiani. Aus beiden Manuskripten werden demnächst Bücher. Für beide Autoren ist der gleiche Vertriebsmann zuständig, da Galiani bei Kiepenheuer & Witsch angedockt hat. Ich kenne den Vertriebsmann seit Jahren, wir besprechen grob Werbemaßnahmen, Strategien, reden über das Manuskript und den Arbeitstitel bei Bronsky, über das Jubiläumsprogramm bei Galiani. Und wie man dort Jan Costin Wagner verankern könnte. Ich habe ein gutes Gefühl.

13:15 Mittagspause. Ich blättere in der Hardcover-Vorschau eines Konzernverlages. Mann, haben die Geld, die kaufen ja ein wie verrückt. Und eine deutsche Krimiautorin ganz vorne in der Vorschau, als Spitzentitel. Mutig, mutig.

14:00 Ein Verleger aus einem kleineren Verlag ruft an. Möchte mit einem unserer Belletristikautoren einen Sidestep ins Sachbuch wagen. Der Autor hatte schon Interesse signalisiert, also gehtʼs nur noch um ein paar Kleinigkeiten. Garantiesumme, Prozente, Erscheinungstermin. Ein bisschen Smalltalk, alles schnell geklärt. „Den Vertrag schreibe ich, okay?“ „Klar, schreib du!“

14:20 Wieder eine interessantere Mail. Ich muss eines vorausschicken: Agenten sind in den seltensten Fällen Freunde, fast immer Einzelkämpfer. Wir lassen uns kaum in die Karten gucken. Doch mit einigen Agenten bin ich befreundet. Wir reden über gute Lektoren, über gute Vertragskonditionen, über problematische, über Branchentrends, treffen uns alle paar Monate – und ab und zu  helfen wir uns auch. In dem Fall schrieb der Agent von einem Pre-empt, bei dem er nicht sicher sei, ob er es annehmen solle.

Pre-empt? Was bedeutet Pre-empt? Ganz simpel erklärt: Ein Verlag – fast immer ein großer Publikumsverlag – bietet eine (meist) hohe Summe auf ein Manuskript – aber nur für 24 Stunden. Danach verfällt das Angebot. Ich mag Pre-empts nicht, denn ich muss sehr schnell handeln, bin unter Druck. Wir erläuterten das Für und Wider – der Agent hat seine Entscheidung getroffen.

15.00 Die Kolleginnen Caterina Kirsten und Vanessa Gutenkunst prüfen vorab alle eingegangenen Manuskripte. Heute ein Sonderfall: Eine Amazon Self-Publisherin hat sich gemeldet: Ihr Unterhaltungsroman, ganz bonbonfarben, steigt und steigt, bekommt nur positive Leserkommentare – ob man nicht ein gedrucktes Buch daraus machen könne? Wir prüfen ganz schnell die ersten 30 Seiten, versuchen herauszufinden, ob die Amazon Meinungen echt oder gefaked sind. Und treffen dann eine ungewöhnliche Entscheidung. Welche? Das können wir an dieser Stelle leider nicht preisgeben.

16:15 Sehr gute Nachricht von einer Debütantin: Sie schreibt mir, was das Marketing des Verlages plant. Wir ahnen: Der Verlag geht in die Vollen. Gut so: Wieder einen A-Titel mehr im Programm.

16:20 Anruf von einer Autorin, die seit Jahren konstant gut schreibt, sich normalerweise nie aus der Ruhe bringen lässt. „Hast du mal einen Moment Zeit?“ Ich habe. Es stellt sich heraus, dass die Autorin, die derzeit gleichzeitig an einem Sachbuch und an einem Kriminalroman schreibt, unglücklich ist. In beiden Verlagen sind neue Lektorinnen – beide haben sich noch nicht bei ihr gemeldet. Meine Alarmglocken schrillen. Das heißt: schnellstens mit den Lektorinnen telefonieren. Klemmt etwas? Passt was nicht? (Tags drauf stellt sich heraus, dass beide Lektorinnen vollständig mit neuen Projekten beschäftigt waren, die ganz schnell über die Bühne gebracht werden mussten.)

17:00 Ich darf die Mail an den unfähigen Lektor nicht vergessen. Aber was tue ich? Ich buche einen Flug um, sehe mir eine Ferienwohnung an, lese Facebook-Nachrichten. Dabei entdecke ich, dass eine unserer Autorinnen ein hoch problematisches Posting bei Facebook verfasst hat. Hoffentlich liest keiner diesen Unsinn. Ich werde sie mal fragen, was sie sich dabei gedacht hat. Wahrscheinlich nichts. Minuspunkt.

17:15 Die Bücher eines Autors funktionieren unter seinem Klarnamen nicht mehr. Die Erfahrung besagt: Ist ein Autor mal unten durch beim Buchhandel, dann nützt es gar nichts, wenn er ein gutes Buch abliefert. Autor XY verkauft sich nicht – so die Warenwirtschaftssysteme, so die Buchhändler. Es hilft nichts: Ein Pseudonym muss her, der Reset-Knopf muss gedrückt werden. Wir reden eine Weile darüber, fangen an, nach Namen zu suchen, die in diesem Genre funktionieren könnten.

17:45 Titeldiskussion mit einer Autorin. Bei jenen Büchern, die im Herbst erscheinen, werden gerade die Titel entschieden und anschließend die Coverentwürfe gemacht. Nur in einem von fünfzig Fällen geht das glatt über die Bühne. Agenten, Autoren, Lektoren, Marketingleute, alle diskutieren. Fällt ein Buch durch, waren in der Hälfte der Fälle Titel und Cover schuld, selbstredend nie das problematische Manuskript des Autors oder die schludrigen Marketingleute des Verlages.

18:15 Müde. Kurze Pause. Der fünfte Espresso. Ich blättere wieder in Vorschauen. Und was sehe ich da? Himmel! Die Verlagsgruppe A plant schon wieder ein neues Imprint. Die sollten sich mal umbenennen in „Die Verlagsgruppe mit den vielen Labels, die sich alle gegenseitig Konkurrenz machen“. Ich darf denen jetzt wirklich nichts mehr anbieten, trotz der guten Lektoren. Wie so oft: Da stinkt der Fisch vom Kopf her. Arme Autoren!

18:30 Rita Falk ruft an. Sie hat gestern die DVD zu ihrem Film „Dampfnudelblues“ bekommen, ist hin und weg vor Freude. Wir beschließen, im März einen Filmabend in der Agentur zu machen. 2013 wird es viele Filmabende geben. Stephan Thomes „Grenzgang“ ist abgedreht, Alina Bronskys „Scherbenpark“ kommt in die Kinos, Tine Wittlers Film nach ihrem Buch „Wer schön sein will, muss reisen“ hat wahrscheinlich einen Verleih gefunden. Ist doch alles gut. Feierabend!

18:50 Nein, nicht Feierabend. Ich schreibe die Mail an den problematischen Lektor. Ich beschließe allerdings, sie erst am Freitag um 16 Uhr abzusenden. Dann kann der Lektor in Ruhe übers Wochenende nachdenken. 

19:20 Feierabend. Die Kolleginnen sind auch gerade gegangen. Computer aus, Heizung aus, Licht aus. Zum Glück keine Lesung. Ich werde eine weitere Folge von „Breaking Bad“, der besten Fernsehserie aller Zeiten, gucken. Tschüss!

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren bzw. in der letzten Zeit verändert?

Wenig. Wie immer beobachten wir genauestens den Markt, stellen uns auf neue Erscheinungsformen wie das E-Book ein, bemerken, dass die Sitten ein klein wenig rauer geworden sind. Kein Grund zur Aufregung.

Was ist ein typisches Problem bei Ihrer Arbeit, für das Sie eine Lösung suchen?

Wo ist der Abschaltknopf  für das Smartphone? Wohin habe ich schon wieder den Nürnberger Trichter gelegt?

Wo finden wir Sie im Internet?

www.copywrite.de, facebook.com/Copywrite.de, www.manoscritto.de (für unsere Krimischule in Italien)

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Bildquelle: (c) Tom Loeb

Anzeige (falls eingeblendet)

Schreibe einen Kommentar