Hinterhand – ein Text zur Gastfreundschaft von Stefan Mesch

Ich hatte kein Geld für eine Wohnung; also zog ich nach dem Studium zurück zu meiner Mutter, aufs Land. Ich schrieb meine Diplomarbeit. Ich weiß nicht mehr, ob Jule sagte „Bei meinen Eltern ist auch Platz“, oder direkt „Falls es daheim nicht klappt: Du kannst bestimmt eine Weile in meinem alten Zimmer schreiben“ …

… doch das Wissen, dass ich eine Wahl habe, ein Notfall-Netz, half mir noch jahrelang.

Ich war nie wieder bei Jules Eltern – denn mit meiner Mutter lief es gut. Seit ich nach Berlin gezogen bin, stehen auch meine Kinder- und Arbeitszimmer wieder leer. „Braucht ihr einen Rückzugsort?“, frage ich regelmäßig auf Facebook.

Ich biete den konkreten Raum – für Aufenthalte, die aber nur selten jemand braucht. Weil alle selbst eigene Wohnungen haben, und alte Kinderzimmer bei den eigenen Eltern. Und ich biete etwas, das mir selbst immer half, Orte auszuhalten. Das Wissen: Falls etwas eskaliert, entgleist – wäre hier eine mögliche Zuflucht.

Wir alle haben diese Zimmer in der Hinterhand. Für Notfälle.

Jules Elternhaus gab mir Sicherheit. Und mein Elternhaus kann diese Sicherheit, diesen Rückhalt an andere Leute weitergeben.

 

Hinterhand – ein Text zur Gastfreundschaft von Stefan Mesch
Foto: (c) Stefan Mesch

 

Stefan Mesch studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, arbeitet heute als Literaturkritiker und freier Journalist für ZEIT Online, den Berliner Tagesspiegel und Deutschlandradio Kultur. Er bloggt und schreibt an Zimmer voller Freunde, seinem ersten Roman.

 

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Mit #orbanismgastfreundschaft, einem Blog- und Gratis-E-Book-Projekt wollen wir vorsätzlich positive Bilder, Gedanken und Vorstellungen in die Welt und zum Zirkulieren bringen. Wir hoffen, es so wieder plausibler zu machen, dass es zum Menschsein gehört, anderen Freundlichkeit entgegen zu bringen und ihnen in Notsituationen auch Schutz zu gewähren.

Wir laden euch herzlich ein, uns – am liebsten bis zum 10. April – weitere Texte zum Thema selbst erlebte Gastfreundschaft (Umfang bis 3.000 Zeichen, kann aber auch ganz kurz sein) zu schicken, die wir bloggen und in einer Anthologie bei Orbanism Publishing veröffentlichen dürfen. Wenn Letzteres, etwa aufgrund von Buchverträgen, nicht möglich ist, können wir Texte gern auch nur bloggen. Bitte Text mit Ein-Satz-Bio in der 3. Person, dazu optional ein Link zu eigenem Herzensprojekt, gern auch ein passendes Foto, bei dem ihr die Rechte besitzt, per Mail an Christiane Frohmann, cf AT orbanism DOT com, senden. – Wir möchten die Rechte an den Texten und ggf. Bildern nicht exklusiv, bitte achtet aber darauf, dass ihr spätere Nutzer auf unser Nutzungsrecht hinweist. Bitte keine Texte unter Pseudonym einreichen.

 

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